Bereits zur Römerzeit gab es Versuche mit Büffelhörnern. Doch die ersten Hörverstärker, die nicht bloss Einzelstücke und Versuche waren, wurden Anfang des 19. Jahrhunderts hergestellt. Sie waren gross, aus verschiedenen Materialien und oft phantasievoll verarbeitet. Wenn die Hörminderung sichtbar ist, dann sollte der Hörverstärker immerhin etwas darstellen, das war wohl der Hintergedanke. Die Bauform war praktisch immer ein Trichter, der stark verengt wurde und direkt ans Ohr gedrückt werden musste. Das physikalische Prinzip dahinter ist, dass einerseits der Schall von vorn reflektiert und dass in der Durchmesser-Verengung der Schalldruck zum Trommelfell erhöht wurde.
Im solothurnischen Dorf Halten hat Ursula Imbach eine eindrückliche und umfangreichen Sammlung von Hörhilfen aufgebaut. Die Autorin hatte die Gelegenheit, die Exponate zu betrachten.
Eindrücke vom Besuch der Sammlung Hörhilfen in Halten
Ursula Imbach und ihr Mann empfingen mich herzlich und führten mich ins Gästezimmer im Untergeschoss. Dort stehen 6 Glasvitrinen und ein Gestell mit vielen unterschiedlichen Hörhilfen und
einzelnen Hörgeräten. An der Wand hängen Bilder, Fotos und Karrikaturen von Personen, die eine Hörhilfe nutzten: zum Beispiel ein Bild des Malers Giovanni Segantini, der in der einen Hand eine
Pfeife und in der anderen Hand ein Hörrohr hält. Oder das Bild des portugiesischen Königs auf seinem Hörthron, wo die Öffnung des Hörschlauchs in den Armlehnen versteckt war.
Die Hörhilfen aus der Sammlung von Frau Imbach stammen fast ausnahmslos aus dem 19. Jahrhundert, die meisten sind um 1850 hergestellt worden. Frau Imbach wusste zu zahlreichen Exponaten etwas zu
erzählen:
Das Material der Hörhilfen ist sehr unterschiedlich: Metall, versilbert, vergoldet, aus Schildpatt, Perlmutt, Horn, Elfenbein, Holz, mit Leder überzogen. Erst ab ca. 1900 gab es Hörhilfen aus Kunststoff. Die Herkunft ist meist England, Frankreich oder Deutschland. Ein Hörrohr in der Sammlung ist in den USA gefertigt worden, eines stammt aus Südafrika.
Die langen Hörschläuche waren praktisch, wenn mehrere Personen den Trichter im Gespräch weitergeben mussten. Aber sie passten auch zur Sittlichkeit dieser Zeit: Schwerhörige Menschen konnten brav Abstand halten und sich trotzdem unterhalten. Andere Hörhilfen, wie die kleinen goldenen Hörschnecken, erforderten ein sehr nahes, intimes Gespräch. Die Verstärkung der Hörschläuche (bzw. all dieser Hörhilfen) war gering. Immerhin konnte man damit quasi den Mund des Sprechers direkt an sein Ohr holen und erreichte ein Verstärkung von rund 25 dB.
Hörhilfen wurden vermutlich auch zweckentfremdet. Im puritanischen England war es Sitte, dass sich Liebespaare an einem Tisch gegenübersassen, mit gebührlichem Abstand. Damit neugierige Angehörige ihre intimen Gespräche nicht mithören konnten, benutzten die Verliebten (selbst wenn sie nicht hörbehindert waren) einen Hörschlauch und konnten sich so diskret und direkt ins Ohr sprechen oder gar flüstern.
Eines der ausgestellten Hörrohre hat eine spezielle Markierung. Möglicherweise hatte es eine militärische Verwendung: Mit dem Hörrohr wurden - laut Überlieferung - die Eisenbahnschienen abgehört und so unplanmässige Züge oder andere Bewegungen auf den Geleisen sehr früh registriert.
Hindernisse für hörbeeinträchtigte Menschen vor 20-50 Jahren
Frau Imbach war während vielen Jahren Lehrerin für Schwerhörige (Audioagogin). Sie war zudem im Vorstand des Schwerhörigenvereins, der heute pro audito heisst. Ende des 20. Jahrhunderts leitete sie Kurse für Schwerhörige. Die meisten Teilnehmer waren über 50-jährig oder bereits pensioniert. Viele waren Einzelgänger, ledig, einsam und oft schlecht gebildet, weil sie während der Schulzeit als un-belehrbar galten und zuhinterst im Schulzimmer sitzen mussten (wo sie bestimmt gar nichts mehr vom Unterricht verstanden). In den Kursen von Frau Imbach mussten die Teilnehmer diskutieren, über einen Text den anderen erzählen oder etwas vorlesen. All dies waren sie sich nicht gewohnt, weil sie in Gegenwart von Normalhörigen nie Gelegenheit dazu gehabt hatten. Zudem stand singen auf dem Programm - und das war ebenfalls sehr beängstigend, da die weitverbreitete Meinung war: "Wenn ich schlecht höre, singe ich sowieso falsch."
Fortschritte für Träger moderner Hörgeräten
Die beschriebenen Hindernisse sind bestimmt nicht ganz verschwunden, trotz der Entwicklung der Hörgeräte. Das liegt teilweise daran, dass viele Menschen zu spät eine Hörberatung von fachkundigen Hörakustikern in Anspruch nehmen. Wenn sich ältere Personen bereits gewohnt sind, allein zu sein und kaum je mit jemandem ein Gespräch führen, kann diese unnötige Gewohnheit auch mit Hörgeräten nicht mehr so leicht verändert werden.
Wer sich jedoch rechtzeitig, vielleicht sogar bereits vor der Pensionierung, mit einer möglichen Hörminderung auseinandersetzt, einen Hörtest macht und sich beraten lässt, der profitiert von modernen Hörgeräten, die dreimal mehr verstärken als die Hörrohre von anno dazumal. Sie lassen sich meist mit dem Handy steuern (Lautstärke, Programmwahl) und verbinden sich dank Bluetooth mit vielen Geräten bei Arbeit und Freizeit.
Fazit: Wer sich rechtzeitig um eine Hörminderung bei sich oder Angehörigen kümmert, der kann weiterhin in der Gesellschaft aktiv mitwirken und an Gesprächen teilnehmen oder Musik machen - und gewinnt dadurch an Lebensqualität.